Historisches Dokument aus Siebenbürgen
Gaceu et al., 2024.
Gaceu et al., 2024.
Siebenbürgen

Tagebücher als Klimadokumente

Schon in früheren Zeiten haben Wetterextreme das Leben der Menschen mitunter dramatisch beeinträchtigt, etwa als Auslöser von Hungersnöten und Epidemien. Das zeigt eine neue Analyse von 500 Jahre alten Aufzeichnungen aus einer Region im heutigen Rumänien. Solche Zeitzeugnisse beleuchten auch die menschliche Dimension klimatischer Veränderungen.

Anhand von Eisbohrkernen, Ablagerungen, Pollen oder Baumringen kann man das Klima vergangener Zeiten heute relativ gut rekonstruieren. Aber auch historische Aufzeichnungen wie Tagebücher, Reisenotizen oder Kirchenregister helfen bei der Rekonstruktion: Damit lassen sich manche klimatischen Schwankungen und Veränderungen zeitlich noch besser eingrenzen und auch besser abschätzen, welche Auswirkungen diese auf die Menschen hatten.

Wie die Forscher und Forscherinnen um Tudor Caciora von der rumänischen Universität Oradea im Fachmagzin „Frontiers in Climate“ schreiben, verraten solche Dokumente mitunter sehr viel mehr Details, als es natürliche Archive je könnten. Man könne erfahren, wie die damalige Gesellschaft reagiert hat, und so auch Zusammenhängen zwischen Klima und bestimmten historischen Ereignissen leichter auf die Spur kommen.

Natürlich habe eine solche Methode auch Nachteile gegenüber dem naturwissenschaftlichen Ansatz: Oft sind die Aufzeichnungen subjektiv geprägt, außerdem waren in früheren Zeiten in vielen Weltgegenden nur sehr wenige Menschen des Schreibens mächtig, also seien immer nur kleine Ausschnitte aus der – erdgeschichtlich betrachtet – jüngeren Vergangenheit dokumentiert.

Höhepunkt der Eiszeit

In der soeben erschienenen Studie konzentrierte sich das Team auf einen Zeitabschnitt, der vielen Orten in Europa eine deutliche Abkühlung bescherte: Im 16. Jahrhundert intensivierte sich die „kleine Eiszeit“ – ein globales Ereignis, das etwa im 14. Jahrhundert begann und bis ins 19. andauerte. In dieser Kälteperiode waren die Winter immer wieder lang und hart, auch im Sommer blieb es oft vergleichsweise frisch oder regnerisch. Das hatte vielerorts gravierende Auswirkungen auf die Landwirtschaft und die Versorgungslage, die wirtschaftliche und soziale Lage wurde instabil.

Als Quellen nutzten die Forscher und Forscherinnen Dokumente aus Siebenbürgen, einer Region in Rumänien; besonders im Fokus standen dabei Extremwettereignisse und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft. Das damalige Transsylvanien war relativ gut an westliche Handelsrouten angebunden und hatte bereits sehr städtische Zentren wie Sibiu, die Bevölkerung war ethnisch bunt gemischt. Daher sind aus dieser Region bessere und umfangreichere Aufzeichnungen vorhanden als aus dem Umland, heißt es in der Studie.

Heiß und trocken

Die systematische Lektüre ergab, dass die klimatische Entwicklung in diesem Landstrich vor 500 Jahren etwas anders verlief als in großen Teilen Westeuropas: Deutlich öfter wurde besonders heißes Wetter dokumentiert als sehr kaltes, insgesamt gab es sogar 40 Hitzesommer „Daher glauben wir, dass sich die ‘kleine Eiszeit’ in dieser Region erst viel später zeigte“, erklärt Caciora in einer Aussendung zur Studie. Bestätigt werde das durch spätere Aufzeichnungen.

Historisches Dokument aus Siebenbürgen
Gaceu et al., 2024.
Historisches Dokument aus Siebenbürgen

Vor allem die erste Hälfte des Jahrhunderts war heiß und trocken. Wie extrem die Verhältnisse waren, illustriere zum Beispiel ein Dokument aus dem Jahr 1540: „Die Brunnen trockneten aus und die Flüsse schrumpften zu kleinen Rinnsalen. Das Vieh kollabierte auf den Feldern und die Luft war voller Verzweiflung, als sich Menschen zu Umzügen formierten, um gemeinsam für Regen zu beten.“ Das zeige auch, welche emotionale und spirituelle Dimensionen die Erfahrungen rund um solche Klimaextreme für die Menschen damals hatten. Die zweite Hälfte des Jahrhunderts wurde dann deutlich feuchter mit Phasen von extremen Niederschlägen und Überschwemmungen, besonders in den 1590er Jahren.

Hunger, Pest und Heuschrecken

Wie das Team schreibt, können auch einige Katastrophen mit den Wetterereignissen direkt oder indirekt in Zusammenhang gebracht werden. Der Mangel an Lebensmittel und steigende Preise führten zu extremen Hungersnöten, in denen die Menschen etwa versuchten, Gras zu essen und darüber fast den Verstand verloren, heißt es in der Studie. Dokumentiert sind Hungerperioden aus 23 Jahren. Die Aufzeichnungen berichten auch von Heuschreckenplagen in neun Jahren, was die Ressourcen weiter schmälerte. Ebenfalls verheerend wütete in diesem Jahrhundert die Pest – insgesamt in 30 Jahren. Eine durch Hunger und Mangel geschwächte Bevölkerung sei deutlich anfälliger für solche tödliche Erreger.

Trotz all der menschlichen Tragik habe das Extremwetter aber wahrscheinlich auch positive Entwicklungen befördert, etwa Veränderungen im Siedlungsbau: „Städte könnten vermehrt überschwemmungssichere Infrastruktur errichtet oder sich in geeignetere Gebiete ausgedehnt haben“, so Caciora. Denkbar seien außerdem Innovationen in der Bewässerungstechnik und der Lagerhaltung.

Es gebe aber auch große Lücken in den Aufzeichnungen, aus 15 Jahren fehlen brauchbare Anhaltspunkte zu Klima und Wetterlagen. Nichtsdestotrotz ermögliche die Auswertung nicht nur einen kleinen Einblick in das Leben der damaligen Menschen, sie könnte auch für moderne Klimastrategien nützlich sein, besonders wenn es um die sozioökonomischen Folgen geht. Denn klimatische Veränderungen hinterlassen ihre Spuren immer auch in der Geschichte der Menschheit.